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"Blut kann man nicht einfach wegwischen" Tatortreiniger beseitigen die Spuren des Todes. Dirk Plähn ist einer von ihnen. 265 Einsätze hatte der Selbstständige bislang.

"Die Kuchenreste auf dem Teller sind schimmelig, daneben ein Becher in Schwarz-Rot-Gold, eine Bierdose. "Kleines Schwarzes", 0,5 Liter, leer. "Das sieht ja noch ganz gut aus", sagt Dirk Plähn und erfasst mit einem Blick Couchgarnitur, Fernseher, Regal, ein Dackel-Foto an der Wand. Mit schnellen Schritten geht er von Raum zu Raum. Plähn trägt einen weißen Schutzanzug, Handschuhe und Gummistiefel bis zum Knie, in der Hand baumelt eine Atemschutzmaske. "Es riecht nicht", sagt er, "Leichengeruch ist das Schlimmste." Und die Fliegen.


Vor einigen Wochen ist in dem Badezimmer im Hamburger Osten ein Mann gestorben. Gemerkt hat das erstmal niemand. Inzwischen ist die Leiche abgeholt, die Wohnung freigegeben. Jetzt kommt Plähns Einsatz. Sein Job ist es, die Spuren des Todes zu beseitigen. Er ist der Tatortreiniger. Ja, genau wie der aus dem Fernsehen. Dirk Plähn kommt, wenn das Leben gegangen ist. Bei Mord, Suizid oder wenn eine Leiche tage- oder wochenlang in einer Wohnung lag. "Dreck ist Materie am falschen Ort", zitiert der 48-Jährige das Credo von TV-Tatortreiniger Schotty alias Bjarne Mädel. Vor sechs Jahren hat Plähn sich mit der Tatortreinigung Nord selbstständig gemacht. Wenn jemand weiß, wie man Körperflüssigkeiten jeder Art wegbekommt, dann er. 265 Einsätze hat er inzwischen erledigt, keinen abgelehnt."

Auftraggeber sind Vermieter und Angehörige des Toten

An diesem Novembervormittag geht es eher um andere Ausscheidungen. Aus seinem Lieferwagen hat Plähn große Behälter mit flüssigem Desinfektionsmittel mitgebracht, Sprühflaschen, Spachtel, Nagelbürsten, Putzlappen, mehrere Rollen Küchenpapier und, ganz wichtig, die gelben Boxen mit Deckel und Gift-Symbol für den infektiösen Müll. Darin sammelt er erst mal, was nach dem plötzlichen Tod auf dem Boden gelandet ist: schmutzige Handtücher, Klobürste, eine Armbanduhr. Dann versprüht er eine Chemikalie, die Blut löst, nimmt einen Spachtel und fängt an, die Fliesen freizukratzen.

Wer war der Mensch, von dem nur die Jacke an der Garderobe geblieben ist und der Rollator im Schlafzimmer? "Je weniger ich weiß, desto besser", sagt Plähn, und es klingt gepresst aus der Gasmaske. So wie bei dem Mann, der in Pinneberg erst durch die Wohnungstür geschossen hatte und dann sich selbst in den Kopf. Im Treppenhaus, alles war voller Blut. Oder bei dem Mann, der in einen Häcksler für Bäume gefallen war. "Für mich sind es Aufträge; wenn man anfängt, sich Gedanken zu machen, kann man den Job nicht machen." Klar, man braucht starke Nerven. Wichtig ist ihm aber auch, seine Arbeit mit Pietät und Würde zu erledigen.


Die Idee kam Dirk Plähn durch einen Zweitschriftenartikel

Die Idee, Tatortreinigung zu seinem Beruf zu machen, hatte Dirk Plähn, als er in einer Zeitschrift über das amerikanische Unternehmen Crime Scene Cleaners las. "Da drüben sind Cleaner schon länger ein Thema", sagt der gelernte Elektriker, während er sich in einer Arbeitspause eine Zigarette vor der Tür ansteckt. Er recherchierte, fand erste Anbieter, die als Tatortreiniger firmierten. "Aber in Hamburg gab es damals niemanden." Plähn machte einen Lehrgang bei der Feuerwehrakademie Hamburg. Danach war er staatlich geprüfter Desinfektor – und legte los.

Tatortreiniger ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Antje Große En­trup, Informatikerin und Ex-Model aus Lüdinghausen, hatte mit ihrer 2002 gegründeten Firma Schendel Tatortreinigung das spezielle Aufgabengebiet als Erste in Deutschland bekannt gemacht. Denn: Anders als viele denken, ist die Tatortreinigung nach Verbrechen oder Unfällen keine staatliche Aufgabe. "Wir sind für die Spurensicherung zuständig, aber nicht für die Beseitigung", sagt ein Polizeisprecher. Das gilt auch für Feuerwehr und Gesundheitsbehörde. Ausnahme ist bei Gefahr im Verzug oder wenn etwa Gewahrsamszellen gereinigt werden müssen. In der Regel sind Vermieter zuständig, Hausverwaltungen oder die Angehörigen der Toten.


In den Gelben Seiten finden sich zahlreiche Anbieter

Inzwischen finden sich unter dem Begriff Tatortreinigung in den Gelben Seiten oder über die Internetsuche zahlreiche Anbieter in Hamburg, darunter auch große deutschlandweit aktive Unternehmen. Die meisten kommen aus dem Bereich der Schädlingsbekämpfung oder der Gebäudereinigung. "Es ist ein Schlagwort geworden, auch durch die Fernsehserie", sagt Thomas Kurowski, Geschäftsführer des Schädlingsbekämpfers Burmeister + Bendel, der den Service in Einzelfällen anbietet. "Man braucht Fachkenntnisse. Es müssen Dinge entfernt werden, die nicht alltäglich sind", sagt der Geschäftsführer der Gebäudereiniger-Innung Nordost, Wolfgang Molitor. Dazu komme die psychische Belastung. Unter anderem bietet die Sanitätsschule Nord in Hutzfeld Weiterbildungskurse zum Tatortreiniger an.

"Blut kann man nicht einfach wegwischen" ist einer der Sätze, mit denen Plähn gern seine Arbeit beschreibt. Er kommt rund um die Uhr, auch am Sonntag. Mehrere Stunden braucht er in der Regel für einen Einsatz, bezahlt wird nach Aufwand und Verschmutzung. Eine Messie-Wohnung zu räumen dauert schon mal eine Woche, ein Suizid in der Badewanne hinterlässt weniger Spuren. "Ein seriöser Tatortreiniger kommt immer zur Besichtigung und macht dann einen Kostenvoranschlag", sagt Plähn. Besonders häufig bekommt er Aufträge, wenn ein Toter lange unbemerkt in der Wohnung lag. "Da können schon mal bis zu 50 Liter Körperflüssigkeit austreten", sagt Plähn. "Das ist dann wie bei einer Wattwanderung."


Der Tod kommt immer plötzlich, sagt Dirk Plähn

Auftraggeber ist wie in diesem Fall häufig der Eigentümer der Immobilie. Manchmal sind es die Hinterbliebenen. Dann geht es auch darum, zu reden, sich die Geschichte anzuhören und die Trauer. "Das Problem ist, dass die Gesellschaft sich nicht mehr mit dem Tod auseinandersetzt. Der kommt immer plötzlich", sagt Buddhist Plähn. Gerade hat er den Badezimmerboden mit einem weiteren Spezialmittel eingesprüht und arbeitet sich Stück für Stück vor. Kratzt, schrubbt, wischt, mit Messer, Bürstchen, Schwämmen und vielen Papiertüchern – immer auf den Knien. Im Hintergrund dudelt meist leise ein Radio.

Ekeln könne ihn eigentlich nichts mehr, sagt Plähn, der mit Lebensgefährtin und deren Tochter in Walksfelde (bei Mölln) lebt. Im Garten zieht er Bananen und Palmen. "Ich arbeite mit dem Tod, aber da schaffe ich neues Leben", sagt der Tatortreiniger. Man hört, dass er in Barmbek geboren wurde. Sein Anzug ist noch genauso weiß, wie er ihn aus der Packung gezogen hat – Berufsethos. "Ich putze nicht, ich reinige."


Er ist fast fertig, der Boden glänzt sauber. Kaum noch etwas erinnert an den Menschen, der hier starb. Zum Schluss sammelt er noch die letzten verschmutzten Reste aus der Wohnung – und versprüht hochkonzentriertes Chlor zur Desinfektion. Jetzt riecht es ein bisschen wie im Schwimmbad. Der Geruch bleibt, wenn er geht. Am nächsten Tag kommt der Entrümpler.



Link zum Hamburger Abendblatt:
Tatortreiniger in Hamburg: Blut kann man nicht einfach wegwischen